Bindungsangst – die Kunst sich selbst zu sabotieren

Bindungsangst – die Kunst sich selbst zu sabotieren

Sie lernen einen Menschen kennen finden sich auf Anhieb sympathisch. Es knistert, es funkt und Sie haben eine umwerfend gute Zeit. Und dann, Sie haben es überhaupt nicht kommen sehen, verschwindet dieser Mensch plötzlich aus Ihrem Leben. Das Telefon wird vielleicht nicht mehr abgehoben, Nachrichten nicht beantwortet. Erklärungen sind, wenn Sie überhaupt erfolgen, bestenfalls fadenscheinig.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind Sie einem Menschen mit Bindungsangst begegnet.
Bindungsangst, oder bindungsvermeidendes Verhalten scheint in unserer multidimensionalen und egomanen Gesellschaft mit schier unendlichen Möglichkeiten das eigene Leben zu gestalten vermehrt aufzutreten und ist besonders im Kontext der Paarberatung häufig anzutreffen.
So lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen.

Was ist Bindungsangst?

Menschen brauchen Bindung.
Säuglinge sind existenziell von der Bindung zur Mutter abhängig, wir brauchen unser Umfeld um uns reflektieren zu können uns zu erleben, Gemeinschaft ist unser Überlebenskonzept.

Kein Wunder also, das der Mensch sich im Erwachsenenleben nach einer liebevollen Beziehung und Nähe sehnt, so sind wir programmiert. Was jedoch für die Einen ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist, Liebesbeziehung und Zukunftsplanung, ist für den Anderen (hier der Bindungsphobiker) schlicht undenkbar. Der Gedanke an eine dauerhafte Partnerschaft mit Exklusivitätsversprechen lösen bei ihnen Stress, Ängste und manchmal nackte Panik aus.

Der Begriff Bindungsphobie bezeichnet eine nachhaltige Angst davor, eine langfristige, enge Beziehung zu anderen Menschen einzugehen. Bindungsphobikern gelingt es kaum stabile Beziehungen zu anderen aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Betroffene sehnen sich wie jeder andere Mensch auch nach dem Gefühl zu lieben und geliebt zu werden, erleben jedoch emotionale und körperliche Nähe als Bedrohung. Nach anfänglicher Verliebtheit können sie sich selten auf eine liebevolle verlässliche Beziehung einlassen. Vielmehr gehen sie nahezu fluchtartig auf Distanz.
Wagen Betroffene dann doch den Schritt in eine verbindliche Partnerschaft, hat die Angst vor Nähe einen großen Einfluss auf die Qualität der Beziehung. So suchen sie möglicherweise gezielt nach Streit, wenn ihnen die emotionale und/oder körperliche Nähe zum Partner zu eng wird, um sich so den benötigten Freiraum zu verschaffen. Und diesen brauchen sie häufig mehr, als bindungsstabile Menschen.
Bindungsphobiker leiden unter der Nähe/Distanz Problematik. Sie stehen häufig vor vielen gescheiterten Beziehungsversuchen und können nicht begreifen, warum ausgerechnet sie einfach nicht den richtigen Partner finden. Ihnen ist die Dynamik meist nicht bewusst, oder sie leugnen sie. Erst wenn Betroffene verstehen, worin die Ursachen ihres Scheiterns liegen und diese bestenfalls therapeutisch bearbeiten, steht ihnen der Weg für eine erfüllte Partnerschaft offen.
Männer und Frauen sind gleichermaßen von Bindungsangst betroffen, wenngleich sie landläufig als vorwiegend männliches Problem wahrgenommen wird. Dies mag daran liegen, dass bindungsvermeidende Männer eher offensiv auf die Suche nach Nähe gehen, wohingegen Frauen sich bei häufig wechselnden Partnerschaften gesellschaftlicher Rechtfertigung gegenübersehen.

Und wie mit allen anderen Phobien auch (Spinnenphobie, Flugangst, Klaustrophobie), nimmt die Angst, bleibt sie unbehandelt, mit fortschreitenden Alter tendenziell eher zu.

Ursachen der Bindungsangst

Wie bei vielen psychischen Störungen finden sich die Ursachen der Bindungsphobie in der Kindheit und verstärkt sich in gemachten Erfahrungen. Negative Erwartungen, Verlust, Verletzungen und Traumata können, unbehandelt, die Angst vor zu viel Nähe schüren. Vielleicht hat ein Verrat in einer Beziehung das Vertrauen des Betroffenen so erschüttert, dass dieser quasi als Selbstschutz das Herz nicht mehr öffnen und sich fallen lassen kann. Vertrauen und Nähe werden dann als Schwachstelle empfunden, der nur durch Bindungsvermeidung entgegengewirkt werden kann.
In den meisten Fällen liegen die Ursachen jedoch bereits in der Kindheit, dort in den ersten Lebensjahren.
Kinder machen ihre ersten Bindungserfahrungen naturgemäß mit der Mutter, später wünschenswerter Weise mit beiden Eltern. Sind diese Beziehungen gestört, zum Beispiel durch einen abwesenden Vater (Zurückweisung), einer emotional abgeflachten oder grenzüberschreitenden Mutter (Nähe und Geborgenheit), oder Konflikte im Elternhaus und Trennungserfahrungen, trägt sich die Bindungserfahrungen in die eigenen Partnerschaften. Die Bindungsforschung beschäftigt sich eingehend mit dieser Thematik und hat vor Allem den unsicher/vermeidenden, unsicher/ ambivalenten und desorganisierten Bindungsstil als risikohafte Bindungen identifiziert.

Bei Männern mit Bindungsangst kann die Ursache in einem gestörten Nähe/-Distanzverhältnis zur häufig alleinerziehenden Mutter liegen. Der Verlust des Vaters und die unausgewogene Allzuständigkeit der Mutter können dem kleinen Jungen das Gefühl geben, Liebe und Nähe sei etwas Bedrohliches oder nicht Erreichbares.
Betroffene Männer, aber auch Frauen werden sich schützen, indem sie keine emotionale Nähe zulassen. Das gibt ihnen die trügerische Sicherheit, nicht verletzbar zu sein, nicht noch einmal die Erfahrung des Verlassenwerdens machen zu müssen. Emotionale Distanz schützt vermeintlich vor erneuten Verletzungen und den Schmerz der Zurückweisung.
Zusätzlich kämpft der Bindungsphobiker mit einem geringen Selbstbewusstsein und dem Gefühl, nicht zu genügen. Wer sich selbst nicht als liebenswert erachtet, kann sich schwer vorstellen, dass andere dies tun. So zweifeln Betroffene an der Liebe des Partners und dessen Aufrichtigkeit als Projektion der eigenen inneren Gefühlswelt.
Eine weitere Ursache der Angst, vor allem vor körperlicher Nähe, sind Missbrauchserfahrungen. Solche Erlebnisse, ob in Kindheit oder Erwachsenenalter, führen häufig dazu, dass Berührungen und Sexualität als etwas Bedrohliches empfunden wird, dass zusätzlich Schuld und Schambehaftet ist.

15 Anzeichen das eine Bindungsphobie vorliegen könnte

1. Die Angst vor Zurückweisung und Scheitern überragt dem Wunsch nach einer Beziehung.
2. Verpflichtungen und Verbindlichkeit einer Partnerschaft verursachen Panik.
3. Es herrscht ein hohes Sicherheitsbedürfnis. (Eifersucht, Zweifel an der Liebe des Partners, Angst vor Verlassen werden)
4. An den möglichen Partner werden unrealistisch hohe Erwartungen gestellt.
5. Häufiger Partnerwechsel und Affären.
6. Auf Trennungen folgen sehr schnell neue, oberflächliche Beziehungen.
7. Es werden ausschließlich unerreichbare Partner gesucht, zum Beispiel Personen die bereits in Beziehungen sind.
8. Nach einer kurzen Hochphase der Anfangszeit folgt eine längere nicht Erreichbarkeit. (Emotional oder tatsächlich)
9. Streit wird häufig provoziert und nach Gründen für eine Trennung gesucht.
10. Auf emotionale Nähe wird mit Flucht oder emotionaler Kälte, manchmal auch Aggression reagiert.
11. Themen die Zukunftsplanung betreffend werden gemieden, oder enden im Streit.
12. Beziehungen bleiben so oberflächlich, dass sie nicht in den Kreis der Familie oder Freundschaften hineinragen.
13. Das Zusammenziehen wird verzögert, wenn es überhaupt geschieht.
14. Zärtlichkeiten, oder offensichtliche Gesten der Zusammengehörigkeit werden in der Öffentlichkeit als unangenehm empfunden und gemieden.
15. Verabredungen werden oft abgesagt. Personen mit Bindungsangst sind seltener zuverlässig.

Neben dieser typischen Verhaltensweisen kommen weitere Symptome auf körperlicher Ebene hinzu. Bindungsphobie ist der Selbstschutz gegen eine vermeintliche Gefahr der Nähe und löst in Bedrohungssituationen die selben Stoffwechselmechanismen im Stammhirn aus, wie alle anderen Phobien oder bei einer echten lebensbedrohlichen Situation auch. Die unbewusste Reaktion auf Bedrohung wird fight-or-flight-response
( Kampf oder Flucht Reaktion) genannt. In diesem Modus operiert der Mensch nicht mehr logisch, sondern entscheidet sich instinktiv für Kampf oder Flucht. Dabei können körperliche Reaktionen wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Gefühle von Beklemmungen, Atemnot bis hin zu Panikattacken auftreten.

Umgang mit Bindungsangst

Einsicht und das Wissen um die eigene Angststörung, denn dies ist es letztendlich, sind die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung einer Bindungsangst. Mit professioneller Unterstützung kann es dem Bindungsphobiker gelingen, den Ursachen seiner Störung auf den Grund zu gehen um die damit im Zusammenhang stehenden Erlebnisse therapeutisch zu bearbeiten.
Auch der Partner kann verständnisvoll, umsichtig und geduldig diesen Prozess unterstützen. Bindungsvermeidende Partner brauchen das heilsame Gefühl, Fehler machen zu dürfen und trotzdem geliebt zu werden. Dieses Vertrauen sollte allgemein die Grundlage einer guten Beziehung sein, das gilt für Bindungsphobiker umso mehr. Im besten Fall können positive Erfahrungen in der bestehenden Partnerschaft Zutrauen geben und die negativen Erlebnisse überlagern.
Maßgeblich ist jedoch die Bereitschaft, die Bindungsangst für sich anzunehmen und den unbedingten Willen diese zu bearbeiten. Das Gelingen liegt hier nicht in der Hand des Gegenübers.

Sollten Sie sich in dem Text als Partner eines Bindungsphobikers wiedererkannt haben bedenken Sie bitte, nur der Mensch selbst kann sein inneres Erleben verändern. Sie haben nicht den Auftrag jemanden vor sich selbst zu retten. Also achten Sie vor allem auch auf sich und ihre eigene emotionale Stabilität.

4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Für mich war der letzte Satz der Ausschlaggebende!

    Antworten
  • Ich lerne nur bindungsängstliche Männer kennen.. genau mit diesen Verhaltensweisen .. und genau diese Männer ..liebe ich ausgerechnet auch so doll .. und nun bin ich wieder in der gleichen Situation. . und wollte helfen .. aber wie immer .. prallt meine Hilfe ab ..
    weil alles geläugnit wird .. alles genau so .. wie im Text oben steht… jedes einzelne Wort ist wahr und so erlebt .. und ich leide sehr darunter .. und der Schmerz ist unentlich groß. . weil mir die Hände gebunden werden .. und das jedes mal .. und ja .. man sollte auf sich selber aufpassen und sich schützen … es ist nur so verdammt schwer .. wenn die Gefühle einfach für diesen Menschen da sind .

    Antworten
  • Obermann
    Tobias Spranger
    14/11/2022 14:36

    Vielen Dank für Ihren interessanten Artikel. Auf den ersten Blick widerspricht es sich ja, wenn Menschen mit Bindungsangst Nähe zu einem möglichen Partner suchen.

    Es ist traurig, wenn zwei Menschen wieder auseinander gehen, die eigentlich echte Gefühle für einander empfinden. Mir fällt immer wieder auf, dass viele junge Menschen vorschnell eine noch junge Beziehung abbrechen – sei es aufgrund von mangelndem Vertrauen oder Bindungsangst.

    Ich habe erlebt, dass bindungsscheue Freunde zwar Kontakte zu möglichen Partner aufgebaut haben, aber dann plötzlich wieder verschwinden. Beide verstanden sich super, hatten viel Spaß miteinander. Allerdings kam es für einen von beiden zu zuviel Nähe.

    Die Gründe dafür, Bindungsangst zu haben und sich deshalb nicht fest an jemanden anders binden zu können ist wohl mangelndes Vertrauen zu sich selbst oder zu der anderen Person. Mein Freund hatte viele negative Erlebnisse und erlebte immer wieder, dass eine seiner Beziehungen zerbrach, weil seine Partnerin fremd ging.

    Aufgrund dieses schwerwiegenden Vertrauensbruchs war er nicht mehr in der Lage, neue Nähe zu jemanden zuzulassen. Er empfand diese Untreue als der betrogene Partner als sehr schmerzlich. Betroffen sind ja meist sehr sensible Bereiche im Miteinander von zwei Menschen.

    Mein Freund nimmt jetzt die Hilfe eines Therapeuten in Anspruch. Dadurch kann er Schritt für Schritt seine Bindungsangst verlieren. Langsam wächst wieder seine Möglichkeit, neue Nähe zu einer anderen Person aufzubauen.

    Allerdings bleibt er möglichen neuerlichen Fehltritten gegenüber sehr sensibel. Er weiß aber, dass er dem anderen nicht ständig Misstrauen bei allen möglichen Anlässen entgegenbringen darf. Das muss er sich selbst immer wieder bewusst machen, um nicht in die alten Muster der Beziehungsangst zurückzufallen.

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