Corona, Covid-19, Liebe, Beziehung - Blog - Luciana Obermann

Die vier apokalyptischen Reiter oder die Liebe in Zeiten von Corona (2.Teil) – Die Gegenstrategien

Die Gegenstrategien

Gottmann schätzt, dass 90 % aller Beziehungen mit Anzeichen aller 4 Reiter ohne ein entsprechendes Entgegenwirken im Durchschnitt ca. 6 Jahre nach der Heirat wieder auseinander gehen.

Corona scheint wie ein Katalysator zu wirken und Probleme schneller sichtbar zu machen. Das liegt zum einen an den existenziellen Problemlagen innerhalb des eigenen Selbst (Auseinandersetzung mit Krankheit, Tod, Angst vor Armut und sozialem Abstieg), aber auch, dass die räumliche Nähe zueinander wie ein Brennglas wirkt und wir unseren Partner genauer unter die Lupe nehmen, keine Ausweichstrategien mehr haben und unsere Beziehungen kritischer beleuchten. Außerdem bekommen Menschen, die uns am nächsten stehen, am ehesten unseren Stress ungefiltert zu spüren.
Jetzt, wo wir im ersten Teil die Gestalt der 4 apokalyptischen Reiter in Beziehungen kennengelernt haben gilt es, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
In jeder, noch so glücklichen Beziehung gibt es Konflikte. Konflikte und die Auseinandersetzung damit sind wichtig, um sich als Paar zu definieren, Ziele und Grenzen abzustecken und immer wieder neu anzupassen. Konflikt bedeutet also Wachstum und Verständnis, Konfliktlosigkeit Stillstand und Beziehungstod. Glücklicherweise sind es nicht die Konflikte, die Beziehungen scheitern lassen, sondern der Umgang mit dem Partner und die Art und Weise, wie Differenzen beigelegt und Kompromisse geschlossen werden. Manche Probleme entstehen aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen der Partner und sind nicht lösbar. Wir können aber lernen, diese Unterschiedlichkeiten zu bewältigen und eine gesunde erfolgreiche Beziehung kann wachsen.
Das Identifizieren der Reiter in einer Konfliktsituation ist ein erster Schritt ihnen entgegenzuwirken. Das Erkennen allein ist jedoch noch nicht genug. Respektlose und destruktive Kommunikations- und Konfliktmuster müssen durch gesunde, respektvolle und konstruktive Muster ersetzt werden. Im folgenden Absatz lernen wir die Gegenstrategien im Kampf gegen die 4 apokalyptischen Reiter kennen.

Strategie gegen den Reiter Kritik

Das Gift des 1.Reiters ist das kritisieren. Damit ist nicht gemeint, dass Dinge, die uns in der Partnerschaft stören nicht besprochen werden sollen. Im Gegenteil. Für ein liebevolles Wachstum miteinander ist es wichtig zu wissen, wie uns der andere sieht und welche Vorstellungen, Ziele, Wünsche, Werte, Normen und Bedürfnisse wichtig sind.
Kritik greift den Partner in seinem Charakter an und ist nicht geeignet oben genanntes mitzuteilen. Stattdessen sollte eine Beschwerde formuliert werden, die als Ich-Botschaft daherkommt und auf Schuldzuweisungen verzichtet.
Die Formel lautet kurz gesagt: Ich fühle – Ich brauche – Ich bitte dich

Beispiel
Kritik: Du redest schon die ganze Zeit. Warum nimmst du dich immer so wichtig?
Beschwerde: Ich fühle mich bei unserem Gespräch heute Abend ein bisschen zu kurz gekommen. Ich habe ein Problem bei der Arbeit, dass mich heute sehr beschäftigt hat. Können wir bitte darüber reden?
Anfangs klingt das vielleicht ein bisschen hölzern und ungewohnt, Sie werde jedoch schnell merken, dass die Formulierungen mit ein bisschen Übung schnell authentischer werden und helfen, Konflikte zu deeskalieren.

Strategie gegen den Reiter Verachtung

Der Reiter Verachtung ist ein finsterer Geselle, der in einer vermeintlichen Position moralischer Überlegenheit daherkommt, sich in Wirklichkeit aber hilflos und nicht gehört fühlt. Der Reiter Verachtung ist der zuverlässigste Indikator für eine baldige Trennung und muss unbedingt vermieden und/oder ausgehebelt werden.
Die Gegenstrategie ist eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung und des Respektes. Natürlich ist es nicht einfach, wenn der Reiter Verachtung sich erst einmal eingeschlichen und das Klima vergiftet hat, zurückzufinden zu dem liebevollen Umgang den Sie am Anfang vielleicht miteinander hatten und sich im Grunde auch zurückwünschen.

Hier gilt: Small things often. Es ist nicht die ganz große Geste notwendig, zumal die meist sowieso nicht gekauft wird. Im Alltag immer mal wieder eine nette Geste, ein freundliches Wort der Dankbarkeit und Zuneigung wirkt als Puffer gegen negative Gefühle. Je positiver sich der Partner in ihrer Gegenwart fühlt, umso schwieriger ist es Verachtung zu empfinden.
John Gottman hat eine Faustregel etabliert; das Verhältnis von Kritik zu positiven Bemerkungen und Interaktionen sollte 5:1 betragen. Haben Sie also Ihrem Partner eine Beschwerde vortragen müssen, achten Sie darauf zum Ausgleich mindestens 5 positive Dinge zu erwähnen. Diese Faustregel hat es mittlerweile nicht umsonst auch in Führungskräfteseminare geschafft.
Sie werden sehen, die Anwendung macht Spaß, da die Konzentration auf die positiven Aspekte des Partners den Blickwinkel neu ausrichtet.

Beispiel
Verachtung: „Man, du hast schon wieder den Müll nicht rausgebracht. Du bist echt so unfassbar faul.“ (Augenrollen) – „Ja, ja, du klingst schon wie deine Mutter!“ (Augenrollen zurück)
Respektvolle Beschwerde: „Ich weiß, du hast den Kopf voll mit anderen Dingen und bist bestimmt erschöpft. Ich würde dich trotzdem bitten den Müll mit runter zu nehmen, wenn du nachher gehst.“
Im zweiten Beispiel wird deutlich, dass man durchaus Verständnis haben möchte für die Perspektive des Partners. Trotzdem wird ein Bedürfnis und eine Bitte platziert, worauf der Partner die Chance hat zu reagieren, ohne sich angegriffen fühlen zu müssen.
Und denken Sie immer an die 5 nachfolgenden positiven Dinge!

Strategie gegen den Reiter Rechtfertigung

Viele Menschen rechtfertigen sich, wenn Sie angegriffen werden. Rechtfertigung ist eine Schutzstrategie und zeigt sich in berechtigter Empörung oder in einen Rückzug in die Opferrolle um einen Angriff abzuwehren. Im Grunde ist Rechtfertigung allerdings eine Möglichkeit dem Partner indirekt die Schuld unterzujubeln und dem eigentlichen Problem auszuweichen. Das Ergebnis ist jedoch meist eine Eskalation des Streits und führt niemals zum Einlenken oder zu einem Kompromiss.
Das Gegenmittel zur Rechtfertigung ist Verantwortung zu übernehmen, wenn auch nur für einen Teil des Konfliktes.

Beispiel
Rechtfertigung: „…aber DU bist es doch immer, der trödelt! Deswegen kommen wir immer zu spät!“
Gegenstrategie Verantwortung: „Stimmt, ich muss besser auf die Zeit achten. Vielleicht sollten wir uns eine Strategie für unser Zeitmanagement überlegen?“

Der andere hat seinen Teil des Konfliktes verantwortungsvoll angenommen und verbalisiert. Außerdem wurde ein Angebot unterbreitet, das Problem gemeinsam zu lösen. So kommt im besten Fall keiner der Partner in die Verlegenheit sich verteidigen, oder angreifen zu müssen. Der Konflikt ist abgewendet.

Gegenstrategie gegen den Reiter Mauern

Mauern dient der Selbstregulation als Antwort auf eine massive Stressreaktion. Diese Strategie setzt ein, wenn der Betreffende sich emotional völlig überrollt und nicht handlungsfähig fühlt. Er zieht sich aus dem Konflikt zurück indem er verstummt, nicht mehr reagiert, oder sich auch physisch zurückzieht und nicht mehr auf den Partner eingeht. Menschen die von dieser Strategie Gebrauch machen, stehen unter einem immensen Druck. Die Herzfrequenz ist nachhaltig erhöht, Stresshormone werden freigesetzt, schlimmstenfalls setzt die Fight-Flight-Freeze Reaktion im Reptilienhirn (Hirnstamm) ein und spätestens ab da geht nichts mehr in Richtung Konfliktbewältigung und Kompromiss.
In einer Längsschnittstudie wurden nach 15 Minuten eines inszenierten Streits die Teilnehmer gebeten für eine halbe Stunde den Konflikt zu unterbrechen und stattdessen Zeitschriften zu lesen. Die Messung der Vitalzeichen im Anschluss ergaben eine deutlich gesunkene Herzfrequenz. Die weitere Interaktion fiel weitaus positiver, wohlwollender und produktiver aus.
Was war passiert? Die Teilnehmenden hatten sich unbewusst physiologisch selbst beruhigt, indem sie sich ablenkten und eine Diskussion vermieden wurde. Die Energie konnte weg von der Emotionalität und damit einhergehend die Reaktionen des limbischen Systems, hin zum rational logisch kooperativen Teil des Hirns gelenkt werden. Diskussion und Lösung waren wieder möglich.
Sie sehen, grundsätzlich scheint diese Gegenstrategie zum 4. Reiter hilfreich zu sein.

Aber Achtung! Es gibt einen entscheidenden Unterschied. Wenn der Partner sich in einer Freeze-Reaktion (totstellen) befindet, ist er für keinerlei Interaktion mehr erreichbar. Hier geht es nur um das nackte Überleben. Die konstruktive Strategie ist die physiologische Selbstberuhigung und eine bewusste Entscheidung zu einer emotionalen Pause vom Streitgeschehen zu treffen, ohne diesem aus dem Weg zu gehen.

Beispiel
Kritik: „Ich habe dir das immer und immer wieder gesagt, aber nie hörst du mir zu, wenn mir etwas wichtig ist!“
Gegenstrategie Selbstberuhigung: „Schatz es tut mir leid dich zu unterbrechen. Ich fühle mich grade echt überfordert und brauche eine Pause. Ich geh kurz um den Block und dann können wir weiterreden, ja?“
Hätten Sie die bewusste Pause nicht eingefordert, hätten sie möglicherweise Aufgrund der Kritik und der Vorwürfe angefangen zu mauern. Emotionen wären aufgestaut worden, sie hätten alles in sich hineingefressen und wären irgendwann explodiert. Das wäre nicht zielführend und in hohem Maß unbefriedigend.
Wenn Sie nun also Pause machen, versuchen Sie nicht die Situation weiter auf Grundlage von gerechtfertigter Empörung („Das muss ich mir nicht immer gefallen lassen!“) oder Opferrolle (Warum hackt sie immer auf mir rum?“) zu analysieren. Tun Sie in dieser Zeit bewusst Dinge, die Ihnen guttun. Gehen Sie spazieren, hören Sie Musik oder lesen Sie, alles was Ihnen hilft, sich selbst zu beruhigen. Wenn Sie merken, dass die innere Anspannung nachlässt, können Sie wieder ins Gespräch gehen um konstruktiv einen Kompromiss zu erarbeiten.

Nun haben Sie sie kennengelernt, die 4 apokalyptischen Reiter einer Beziehung und die bewährten Gegenstrategien. Jetzt geht es darum zu üben, die Reiter zu erkennen, wenn Sie angaloppiert kommen und sie mit den gelernten Strategien abzuwehren. Keine Sorge, wenn Sie nicht sofort zum Vollprofi respektvoller Kommunikation werden. Unser Reptilienhirn und unsere Emotionen sind 300000 Jahre alt und brauchen ein bisschen Geduld und Übung um in Schach gehalten zu werden. Seien Sie achtsam und liebevoll zu sich selbst und zum Partner. Wann, wenn nicht in Zeiten von Corona und damit einhergehenden Zwangsnähe lässt es sich an der Kommunikation arbeiten, um am Ende eine stabilere und glücklichere Partnerschaft zu führen.

Die vier apokalyptischen Reiter oder die Liebe in Zeiten von Corona (1.Teil)

Quellen und weiterführende Literatur:
Gottman, John M.: Die Vermessung der Liebe: Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014, ISBN 3-608-94810-4.
Gottman, John M.: Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe. Schröder-Verlag, 2000, ISBN 3-547-73320-0
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Junfermann, Paderborn 2009, ISBN 978-3-87387-454-1

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