Die Corona Pandemie hielt uns in 2020 ordentlich in Atem und wird dies wohl auch in 2021 noch eine Weile tun. Nicht alle, aber ein großer Teil der Familien und Paarbeziehungen leiden unter der erzwungenen Nähe durch die Maßnahmen zur Eindämmung, wie social distancing, homeschooling und homeoffice. Zum Stress der Auseinandersetzung mit einer unbekannten und potenziell lebensbedrohlichen Gefahr kommen die alltäglichen Herausforderungen hinzu, die die Pandemiemaßnahmen mit sich bringen.

Vor Corona hatten die Paare und Familien zahlreiche Möglichkeiten sich abzulenken und sich aus dem Weg zu gehen. Manche Beziehung funktioniert ausschließlich unter dem Aspekt, tatsächliche Nähe und Intimität nur wohl dosiert zulassen zu müssen und sich ansonsten Bestätigung und soziale Interaktion über den Job, Medienkonsum und Freizeitaktivitäten zu beschaffen. So ist manch eine Beziehung der erzwungenen Nähe bereits zum Opfer gefallen. Andere Paare und Familien hat die Möglichkeit mehr Zeit miteinander verbringen zu müssen näher zueinander gebracht und sie haben für sich und ihr zukünftiges Miteinander neue Prioritäten und Spielräume geschaffen.

Und dann gibt es die Beziehungen, die eigentlich gut funktionieren, aber unter dem Druck der Herausforderungen, dem Stress der Veränderungen und der oft unausweichlichen Nähe auf den Prüfstand geraten.

In diesen Zeiten erlebe ich es, dass Paare sich in meiner Praxis melden und mit einer Trennungsabsicht Beratung suchen. Schnell ist die Entscheidung absolut und final. Bei näherem Nachfragen stellt sich heraus, dass Corona Risse in der Beziehung aufgedeckt hat, die sich unbehandelt verstärkt haben und zum Bruch führten. In diesem späten Stadium kann ich dann tatsächlich meist nur noch bei der Trennungsberatung hilfreich sein.

Damit Ihnen das nicht passiert, hier ein paar Hinweise, wie sie die Corona Pandemie als Familie und/oder Paar gestärkt überstehen.

Die 4 apokalyptischen Reiter des (Corona) Beziehungstodes

Der amerikanische Psychologe John Gottman beschreibt in seinem Buch „Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe“ 4 Faktoren, die seiner Ansicht nach zu einem schnellen Ende einer jeden Beziehung führen. Gottman nennt sie in Anlehnung an die Bibel die 4 apokalyptischen Reiter, die im neuen Testament das Ende der Zeiten einläuten. In der biblischen Geschichte beschreibt die Metapher Eroberung, Krieg, Hunger und Tod. In unserer Verwendung heißen die Reiter Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern. Untersuchungen zufolge kann je nach Ausprägung dieser 4 Verhaltensweisen, so ziemlich verlässlich das nahende Ende einer Beziehung vorausgesagt werden.

In Anbetracht der momentanen Situation sind die Reiter in vielen Beziehungen präsent wie nie zuvor. Sie in Konfliktgesprächen zu identifizieren ist ein unerlässlicher Schritt zu gesunden Kommunikationsmustern und somit zu mehr Harmonie in beengtem Raum.

Im Folgenden spreche ich vom Partner (m/w/div). Genauso anwendbar sind die Hinweise aber auch auf alle anderen Familienmitglieder, insbesondere Kinder. Hier hieße die Überschrift dann „Die 4 apokalyptischen Reiter einer nachhaltig gestörten Eltern-Kind-Beziehung“.

Reiter 1: Kritik

Sie werden jetzt vielleicht denken, Kritik hilft beim Wachstum, womit Sie bedingt recht hätten. Aber: den Partner zu kritisieren ist etwas anderes, als eine Kritik oder eine Beschwerde zu äußern. Den Partner zu kritisieren bedeutet einen Angriff auf die Grundfesten seines Charakters und dient ausschließlich dazu ihn zu schwächen und im Kern seines Seins zu demontieren. Diese Strategie wird häufig zur Aufwertung eigener Persönlichkeitsaspekte genutzt und gehört in die Kategorie der Wolfssprache (siehe Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg). Eine Beschwerde zu äußern bedeutet unzufrieden mit einem bestimmten Thema zu sein und bezieht den „Ich-Aspekt“, also mein eigenes Bedürfnis mit ein. Kritik und Beschwerden voneinander unterscheiden zu können und es auch zu tun, ist ein wichtiger Baustein, um den ersten apokalyptischen Reiter abzuwehren.

Eine Beschwerde könnte zum Beispiel wie folgt geäußert werden: „Ich habe mir Sorgen gemacht, als du dich verspätet hast und nicht an dein Telefon gegangen bist. Ich dachte, wir hätten abgesprochen, dass wir uns beim anderen melden, wenn etwas dazwischenkommt?!“

Kritik hingegen wäre: Du denkst überhaupt nicht darüber nach, wie ich mich fühlen könnte, wenn du dich nicht meldest. Immer geht es nur um dich und deine Belange, aber dass ich auf dich warten könnte und mir Sorgen mache, ziehst du überhaupt nicht in Betracht!“ Kritik beinhaltet auch unflexible „Immer“ und „Nie“ Aussagen, sowie „Du-Botschaften“, die zu reflexartigem Verteidigungsverhalten führen können.

Vielleicht kennen Sie diese Form von Kritik bei sich selbst und stellen fest, dass sie mit Ihrem Partner so in (wechselseitigen) Angriff gehen. Dies bedeutet nicht per se, dass Ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, aber dieser Stil seinen Unmut über ein bestimmtes Verhalten mitzuteilen ebnet über kurz oder lang den Weg für die anderen 3 Reiter.

Das Problem mit der Kritik ist, dass sie den anderen in eine defensive Position bringen, in der er/sie sich angegriffen, verletzt und zurückgewiesen fühlen könnte. Das bewirkt oft einen Gegenangriff und ein damit einhergehendes eskalierendes Muster in dem der erste Reiter immer wieder auftaucht. Nimmt dieses Muster an Häufigkeit und Intensität zu, hat der zweite Reiter Verachtung freie Bahn.

Achtung: Besonders in der jetzigen Zeit ist eine achtsame Beschwerdekultur mit dem Partner und der Familie umso wichtiger, da in diesem kleinen, engen Kreis die einzigen sozialen Kontakte abgebildet sind, über die der/die andere/n ein Feedback über sich selbst bekommt/bekommen. Stetige, in respektloser Weise hervorgebrachte Kritik wirkt demoralisierend und kann zu Selbstzweifeln und Depressionen führen.

Reiter 2: Verachtung

Ein verachtender Kommunikationsstil hat einzig zum Ziel den anderen zu entwerten und bloßzustellen. Respektlosigkeit, Sarkasmus, Spott, den anderen lächerlich machen, imitieren, zu beschimpfen und/oder mit Gesten und Körpersprache zum Beispiel Augenrollen zu begegnen geht weit über Kritik hinaus. Während Kritik den anderen in seinem Charakterlichen Wesen angreift, nimmt die Verachtung eine moralisch Überlegene Position dem anderen gegenüber ein.

„Wovon bist DU denn müde? Du sitzt dir den ganzen Tag im Büro den Hintern platt und machst dir ein schönes Leben und dann kommst du nach Hause und heulst mir die Ohren voll! Ich geh auch arbeiten und muss mich zusätzlich um alle Belange der Kinder kümmern und um DEINE Wäsche! Aber der Herr muss sich vor dem Fernseher ausruhen, weil das Leben so anstrengend ist…“ usw.

Verachtung wird durch lange schwelende negative Gedanken dem anderen gegenüber und unausgesprochene Wünsche und Bedürfnisse genährt und entlädt sich aus einer vermeintlich überlegen Position heraus wie pures Gift. Unbehandelt führt ein verachtender Kommunikationsstil mit ziemlicher Sicherheit bald zur Trennung.

Studien haben übrigens belegt, dass Paare, die sich gegenseitig mit Verachtung begegnen ein geschwächtes Immunsystem haben und deutlich häufiger an Infektionserkrankungen (Erkältungen, Grippe usw.) leiden als andere. Also schon aus dem Aspekt der Pandemieeindämmung sollte es Ihnen wichtig sein, achtsamer und respektvoller miteinander umzugehen.

Reiter 3: Rechtfertigung

Der Reiter Rechtfertigung ist im Prinzip die unmittelbare Folge der Kritik. Jeder hat sich schon einmal für irgendetwas gerechtfertigt, typischerweise auch, wenn Beziehungen in die Brüche gehen, es eine Außenbeziehung gab, oder man einen irgendwie anders gearteten dummen Fehler gemacht hat. Rechtfertigung wirkt nicht nur, wenn wir uns schuldig fühlen, sondern auch dann, wenn wir ungerechtfertigt beschuldigt werden. Menschen rechtfertigen sich in der Hoffnung, die Opferrolle würde dafür sorgen, dass sich das Gegenüber mit seinen Anschuldigungen oder aber auch gerechtfertigten Bitten zurückziehen würde. Diese Strategie kommt gar nicht so selten vor, bei manchen Menschen ist sie sogar ein grundlegender Wesenszug. Als apokalyptischer 3. Reiter allerdings ist er vor allem ein deutliches Warnsignal, da die Strategie nicht aufgeht. Der Partner fühlt sich durch Ausreden und Rechtfertigungen nicht ernst genommen in seinen Sorgen und seinem Ärger. Vielmehr überwiegt der Eindruck, dass wir keine Verantwortung für unsere Fehler und Versäumnisse übernehmen wollen.

„Warum hast du denn das Hemd nicht von der Reinigung abgeholt, wie du es heute Morgen versprochen hast?“ – „Hast du mal meinen vollen Terminkalender gesehen? Du hättest doch das Hemd selbst holen können, wenn es dir SO wichtig ist!“

Dieser Partner reagiert nicht nur mit Rechtfertigung, sondern noch mit Schuldumkehr. Er macht also den anderen verantwortlich für sein eigenes Versäumnis, statt Verantwortung zu übernehmen und zu versuchen, den Partner aus dessen Perspektive zu sehen.

Es ist verständlich sich zu verteidigen, wenn Sie gestresst sind und sich angegriffen fühlen. Trotzdem wird diese Strategie nicht zum gewünschten Erfolg führen, da eine Verteidigungshaltung den Konflikt eskalieren lässt, weil der Partner sich nicht gesehen fühlt. Rechtfertigung ist in Wahrheit eine Art Schuldzuweisung und lässt keine gesunde Konfliktbewältigung zu.

Reiter 4: Mauern

Mauern, John Gottman nennt diese Strategie „stonewalling“, tritt auf, wenn der Partner sich aus der Beziehungsinteraktion zurückzieht. Er schottet sich ab, reagiert nicht mehr auf den Partner und seine Bedürfnisse. Mauern ist eine der defensivsten, aber wirksamsten Strategien seine Beziehung endgültig gegen die Wand zu fahren. Statt sich und den Partner mit den gemeinsamen Problemen zu konfrontieren und somit die Möglichkeit zu schaffen, die Krise zu bewältigen, wird dieses Ausweichmanöver betrieben. Der Partner schaltet ab, lenkt sich zum Teil mit zwanghaftem Verhalten ab, oder geht sogar physisch aus dem Kontakt. Jegliche Interaktion wird blockiert.

Der 4. Reiter ist der, mit der Todesbotschaft und die Folge einer Reihe an Verletzungen, die in Ihrer Wucht so überwältigend sind, dass es keinen anderen Ausweg zu geben scheint. Wenn das Mauern und Blockieren erst einmal zum Ausweg geworden ist, wird es schnell zur Angewohnheit, die üblicherweise nicht mehr aufgegeben wird und eine glückliche, reife und erwachsene Kommunikation mit einander nicht mehr zulässt.

Mauern ist eine Schutzstrategie, ähnlich wie der Todstellreflex unserer Vorfahren. Die 3 Strategien um uns vor dem Säbelzahntiger zu schützen sind Angriff, Flucht und totstellen. Dieser Reflex tritt nur dann ein, wenn wir uns hilflos ausgeliefert fühlen. Vielleicht haben Sie nun eine Ahnung von der Massivität der psychischen Belastung und dem Unvermögen sich mit guten Kommunikationsstrategien zu schützen, dass es zum Mauern kommen muss. Und vielleicht haben Sie jetzt eine Vorstellung davon, warum Sie gut daran tun es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Im 2. Teil werden wir über Kommunikationsstrategien und den erfolgreichen Einsatz von Gegenstrategien sprechen. 

 

Quellen und weiterführende Literatur:
Gottman, John M.: Die Vermessung der Liebe: Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014, ISBN 3-608-94810-4.
Gottman, John M.: Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe. Schröder-Verlag, 2000, ISBN 3-547-73320-0
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Junfermann, Paderborn 2009, ISBN 978-3-87387-454-1